Spielarten des Rokoko: Porzellanfigürchen in Turmperücken

Das im spätabsolutistischen Frankreich entsprungene, von 1720 bis 1780 andauernde Rokoko war eine Welt für sich. Nach dem Pathos und dem Höfisch-Repräsentativen des Barock mit dem „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. ging der Trend hin zum Intim-Persönlichen, Eleganten. Mit dem Tod des Regenten 1715 tauschten viele Adlige die steifen Räumlichkeiten des Versailler Schlosses gegen prächtige Palais und Appartements mitten in Paris. So verlagerte sich das gesellschaftliche Leben auf edle Salons in der Hauptstadt, und die einzelnen Familien richteten sich nach ihrem persönlichen Geschmack ein. Eine anmutige, verspielte Inneneinrichtung – nach dem aktuellen König Ludwig XV. „Louis-quinze“ benannt – prägte sowohl private Gemächer als auch Empfangsräume.

Fresken in der Basilika St. Alexander und Theodor in Ottobeuren
Fresken in der Basilika in Ottobeuren

Muschelförmige, mit Blatt- und Rankendekorationen umrandete Ornamente, die Rocailles, waren ein typisches Merkmal des Rokoko. Man findet sie auf Stuckdekorationen ebenso wie auf Täfelungen, Möbeln und Porzellan der Epoche. Und selbstverständlich machte auch dieser französische Trend nicht an den Grenzen halt – überall in Europa verschnörkelte man Fassaden und Einrichtungen. In Süddeutschland gewann der Stil vor allem für die Schloss- und Kirchendekoration sowie in der Porzellanmanufaktur an Bedeutung. 

In der französischen Mode zeigten sich wesentliche Veränderungen. Von der Hofetikette befreit, trennten sich die Damen von ihren schweren und steifen Kleidern und bevorzugten einen luftigen, bequemen Stil. Männer entledigten sich ihrer barocken Kostüme und trugen lockere Anzüge, die je nach Anlass unterschiedlich verziert und bestickt wurden. Zum Outfit gehörte zudem ein spitzenbesetztes Hemd, eine hüftlange Weste, Halsbinde oder Krawatte und auf den Kopf ein Dreispitz.

Für die französische Oberschicht gehörte die Perücke im 18. Jahrhundert zur Pflichtausstattung. Um 1720 trugen Männer am Hof  die „Perruque à deux queues“, 40 cm lange, mit Schleifen zusammengehaltene Zöpfe. 30 Jahre später kam die Vollperücke in Mode, die mit Pomade, Talg oder dünnem Krepp gelockt und mit weißem, dem Adel vorbehaltenen, Puder bestäubt wurde. Mit Eiweiß wurde sie an die Kopfhaut geklebt. Da menschliches Haar rar, teuer und empfindlich war, wurde Pferde- oder Ziegenhaar, Hanf, Flachs oder Wolle verwendet. Laut der Encyclopédie perruquière von 1757 gab es 45 verschiedene Herrenperücken. Da war für jeden Geschmack etwas dabei – ein praktisch glatzenloses Jahrhundert, denn auch im Volk waren Perücken beliebt.

Marie-Antoinette
Stilikone des Rokoko:
Marie-Antoinette (1755-1793)

Ein Fest für Karikaturisten waren die Drahtgestelle und Rosshaarteile, mit denen Frauen ihre Haarpracht im Spätrokoko verlängerten und zu absurd hohen Türmen hochtoupierten. Zu festlichen Anlässen wurden noch Blüten, Bänder oder gar Juwelen eingesetzt. Um 1773 erreichte die Perückenmode mit den Poufs ihren Höhepunkt. Diese Stoffteile wurden aufwändig bestickt, darüber hinaus wurden Perlen, Federn oder kleine Porzellanfiguren ins Haar eingeflochten. In Paris erfand ein Haarkünstler sogar eine Frisur, die mit Scharnieren versehen umklappbar war, damit die Damen sich beim Einsteigen in ihre Sänften nicht die Frisur zerstörten. Um 1715 kam in Frankreich der korbartige „Panier“, der Reifrock, auf. Während des Rokoko änderte sich ständig die Form – es gab kegel- und trapezförmige, eckige und ovale Ausformungen. Die darüber getragenen Röcke bestanden – je nach finanziellen Möglichkeiten – aus Satin, Taft oder Damast. Kleider mit Blumenmustern und Modedrucken fielen locker über die Röcke, am Ellenbogen waren flügelartige Aufschläge angenäht, die später durch Volants und Rüschen ersetzt wurden.

Die Stilikone des Rokoko schlechthin war Marie Antoinette, die Frau König Ludwig XVI. Als 14-Jährige kam sie nach Versailles und brachte mit ihrer zierlichen, anmutigen Figur, weißem Teint und eleganten Bewegungen alle Voraussetzungen einer wahren Schönheitskönigin mit. Für Politik und Diplomatie interessierte sie sich nicht, dafür umso mehr für die neuesten Stoffe, edle Waren von Übersee, interessante Frisuren – sie brachte es auf eine Turmfrisur von 91 cm Höhe! – und schicke Kleider. Die Königin des Rokoko gab so viel Geld für Schneiderinnen, Friseure und Juweliere – die ihr allzeit zur Verfügung standen – aus, dass sie zeitweise gar zahlungsunfähig war. Für ihre Verschwendungssucht hatte das Volk nach der Revolution jedoch kein Verständnis mehr: Marie Antoinette starb 1793 in Paris auf dem Schafott – und mit ihr der naiv-verspielte, lebenslustige Rokoko.