Das Heilige Römische Reich deutscher Nation

Das Heilige Römische Reich im Jahr 1789
Das Heilige Römische Reich im Jahr 1789

Das vom Jahre 962 bis 1806 existierende Heilige Römische Reich deutscher Nation war ein aus weit über 300 unterschiedlich großen Territorialstaaten, halbautonomen Gebieten und Reichsstädten gebildeter Staatenbund. Im Süden reichte er zeitweise bis nach Italien und Dalmatien, im Osten grenzte er an Ungarn und Polen. Im Westen reichte der Bund bis zur französischen Grenze, im Norden war er von Ost- und Nordsee eingeschlossen. In Fortsetzung der Tradition des antiken Römischen Reiches wollten die mittelalterlichen Regenten so die Herrschaft als Gottes heiligen Willen im christlichen Sinne legitimieren.

Wie seine Vorgänger wurde auch der letzte Kaiser, Franz II. (er regierte 1792 bis 1806; von 1804 bis 1835 war er der erste Kaiser Österreichs), in Wien von den Kurfürsten gewählt. Diese machten das Reich als Ganzes mit ihren unterschiedlichen Gesetzgebungen, Religions- und Militärhoheiten quasi unregierbar und unberechenbar. Auch wichtige ökonomische Entscheidungen über Zollbestimmungen, Gewichtsordnungen und Münzrechte fällten die  Regenten selbstständig und lagen in ständigem Wettstreit. Unklarheiten, Streitigkeiten und langsame Kommunikationswege behinderten sowohl den sozialen Wandel als auch den ökonomischen Aufschwung.

Weder heilig, noch römisch, noch Reich

Viele Intellektuelle empfanden das bunte Konglomerat aus Fürsten- und Herzogtümern, Grafschaften, Reichsrittern, Markgraftümern und -schaften, Hochstiften, Reichsstädten, Fürstbistümern, Fürstpropsteien usw. als einen Anachronismus. Voltaire erkannte die eigentliche Problematik des janusköpfigen Gebildes: „Dieser Korpus, der sich immer noch Heiliges Römisches Reich nennt, ist in keiner Weise heilig, noch römisch, noch ein Reich.“ Es hatte keinen geistlichen, sondern einen weltlichen Führer, die Bevölkerung war zu großen Teilen nicht römischer, sondern germanischer Herkunft und es war weniger ein imperialistisches Großreich als ein Staatenbund.

Der 25-jährige Kaiser Franz II. nach seiner Krönung 1792
Der 25-jährige Kaiser Franz II. nach seiner Krönung 1792

Vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648), in dem durch Schlachten, Seuchen und Hunger ganze Regionen entvölkert wurden – in Teilen Süddeutschlands überlebte nur ein Drittel diese Zeit – sollte das Reich für Ruhe, Stabilität und Frieden sorgen. Fortschrittliche Entwicklungen vollzogen sich noch am ehesten in großen Territorien mit wichtigen wirtschaftlichen Ressourcen wie Preußen, Sachsen oder Kurhannover. Sie verfügten über die besten Voraussetzungen für ein verbessertes Bildungssystem und Gebietsvergrößerungen durch Kriege wie z. B. den Siebenjährigen Krieg (1756-1763). In kleinen Territorien ruinierte der Landesherr die Finanzen oft dadurch, dass er den Prunk der großen Höfe wie Versailles nachahmen wollte.

Napoléon Bonapartes Rheinbund: ein Militärbündnis

Im Jahr 1806 schlossen sich 16 deutsche Fürstentümer zum „Rheinbund“ zusammen und sagten sich damit vom Reich los. Zwei Jahre später kamen 20 weitere Staaten hinzu. In erster Linie war dieser Bund jedoch lediglich ein Militärbündnis mit Frankreich, abhängig von Napoléon Bonapartes Plänen. Dieser drängte Franz II. erfolgreich dazu, das Reich als Ganzes eigenmächtig aufzulösen – ohne Zustimmung des Reichstages. Napoléon musste den Rheinbund 1813 auflösen und wurde am 30. Mai 1814 nach zahlreichen Kriegen gestürzt. Auf dem Wiener Kongress (18.9. 1814 – 9.6. 1815) entstand eine neue territoriale Aufteilung Europas. Die deutschsprachigen Einzelstaaten schlossen sich zum Deutschen Bund zusammen. Franz II. spielte noch immer eine große Rolle – bis 1866 führte Österreich den Deutschen Bund als Präsidialmacht.

„Du, glückliches Österreich, heirate!“ – Maria Theresias Einfluss in Europa

Maria Theresia von Österreich (1717-1780) war die einzige Frau, die jemals an der Spitze des Hauses Habsburg stand und zählt zu den einflussreichsten und bedeutendsten Frauen der Weltgeschichte. Sie nahm den Titel ihres 1745 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönten Gatten Franz I. Stephan an. Obwohl sie nie gekrönt wurde, nannte man die Frau, die Österreichs Regierungsgeschäfte führte, Kaiserin. Sie war jedoch zugleich die Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen sowie die Gräfin von Tirol.

Kaiserin Maria Theresia, Gemälde von Martin van Meytens, um 1752
Kaiserin Maria Theresia, Gemälde von Martin van Meytens, um 1752

„Die Erste Dame Europas“ regierte mit einer Mischung aus schlauem Kalkül, gesundem Menschenverstand und der Gabe, Menschen zusammenzubringen. Getreu dem traditionellem Habsburg-Motto „Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube“ („Kriege mögen die anderen führen, du, glückliches Österreich, heirate“), hat sie ihre 16 Kinder taktisch klug in ganz Europa verheiratet und damit die Geschicke zahlreicher Herrscherhäuser beeinflusst, darunter Parma, Neapel oder Frankreich. Die Dynastien Bourbon und Habsburg vereinten sich, um gegen die gemeinsamen Feinde Preußen und England anzutreten. Nach dem Tod ihres Mannes (1765) ernannte Maria Theresia ihren 24-jährigen Sohn Joseph offiziell als Mitregenten, vertraute ihm jedoch lediglich die Heeresreform an.

Mit Königin Maria Theresia ging ein tiefgreifender gesellschaftlicher und politischer Wandel einher. Sie nahm Neuerungen in Staat und Gesellschaft in Angriff, da der österreichische Erbfolgekrieg das Land im Vergleich zu anderen Staaten zurückgeworfen hatte. Umgeben von qualifizierten Beratern wie dem Kanzler Wenzel Anton Graf Kaunitz und Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz, führte sie etliche Reformen ein, unter anderem auf den Gebieten Wirtschaft, Bildung, Münzwesen und Verfassung. So verabschiedete sie 1774 die Schulverordnung, zügelte die Macht der Jesuiten im Bildungssystem und ließ dieses mit Hilfe von Pädagogen wie J. A. Felbiger umordnen.

Kulturelle Toleranz und Freiheit

Es entstand ein zentralistischer Einheitsstaat mit einem mächtigen Staatsbeamtentum und für einen aufgeklärten Absolutismus typische Veränderungen. Carl Ramshorn schrieb in „Maria Theresia und ihre Zeit“ im Jahr 1861, es sei ihre Absicht gewesen, „vor allem die Gerichtsbarkeit und die höhere Polizei nach und nach in die Hände der Regierung zu bringen“ und  „in das vielgestaltete Gemeindeleben in den verschiedenen Theilen der Monarchie eine größere Gleichmäßigkeit zu bringen und dasselbe den Bedürfnissen, Bestrebungen und Ansichten der Zeit mehr und mehr konform zu machen“. Kulturell sehr offen und interessiert, tolerierte Maria Theresia außerdem eine lebendige Publizistik. Von einer gelockerten Zensur profitierten literarisch, wissenschaftlich, praktisch-ökonomisch und philosophisch-ethisch orientierte Aufklärungsgesellschaften.

Grundlegende Änderungen im Strafrecht waren die Einschränkung der Todesstrafe und die Abschaffung der Folter 1776. Dies war auch das Verdienst des Wiener Regierungsrates Joseph von Sonnenfels‘, der in seiner Schrift „Über die Abschaffung der Tortur“ fragt: „Wenn die Untersuchung durch die Folter weder dem Richter die Zuverlässigkeit gewähret, welche in peinlichen Verurtheilungen nothwendig ist; wenn sie nicht einmal nur die Wahrscheinlichkeit gegen den Beschuldigten vergrössert; wenn sie zur Verurtheilung überflüssig ist, da ein in Verdacht genommener, auch ohne zum Bekenntnisse gebracht zu seyn, dennoch gesstraft werden kann“ – ist die Folter dann sinnvoll? Stattdessen sollten Verbrecher dem Allgemeinwohl dienen und in der Strafanstalt zu besseren, in die Gesellschaft integrierbaren, Menschen erzogen werden.

Für mehr Gerechtigkeit und Freiheit ihrer Untertanen führten die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Abschaffung von Adelsprivilegien, religiöse Toleranz und staatliche Wohlfahrt. Der Thronnachfolger Joseph II. setzte nach 1780 weitere aufklärerische Reformen in Gang. Revolutionär waren seine Säkularisierungsmaßnahmen: Alle Orden, die im volkswirtschaftlichen Sinne unproduktiv waren, also keine Krankenpflege, Schulen oder andere soziale Aktivitäten betrieben, wurden aufgehoben, ihr Besitz verstaatlicht. In den Jahren 1781/82 waren das 700 Klöster.

Der Dollar des 18. Jahrhunderts

Auch am anderen Ende der Welt erkannten viele Menschen das Abbild der österreichischen Kaiserin – auf Münzen. Der Maria-Theresia-Taler wurde seit der im September 1753 mit dem Kurfürsten von Bayern abgeschlossenen Münzkonvention verwendet. Seit dem Tod Maria Theresias im Jahr 1780 wird der Taler mit Jahreszahl 1780 als Handelsmünze nachgeprägt. Aber er wurde nicht nur innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation geprägt, etwa in Karlsburg, Mailand, Prag oder Venedig, sondern auch außerhalb, in Birmingham, Bombay, Brüssel,  Paris, oder Utrecht. Der Taler war bis zum Jahr 1858 gesetzliches Zahlungsmittel im Kaiserreich Österreich. Bis weit ins 20. Jahrhundert war er jedoch auch als äußerst zuverlässiges Zahlungsmittel in weiten Teilen Afrikas und Asiens bis in den indischen Raum hinein im Gebrauch – der Dollar des 18. Jahrhunderts!