Potsdam zwischen Kunst und Krieg
Ein eigenartiges Gespann oder „eine wunderbare Freundschaft“? Über 800 Briefe aus 42 Jahren dokumentieren die intensive Korrespondenz zwischen Frankreichs berühmtem Philosophen Voltaire und Preußens bedeutendem König Friedrich II. – und sie begegneten sich auch oft persönlich.
Im Jahr 1740 nahm Voltaire eine Einladung des Kronprinzen an und stattete ihm einen zweiwöchigen Besuch auf Schloss Rheinsberg ab. Kurz danach verstarb Friedrichs Vater, der auf alles Militärische fixierte „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., und aus dem Kronprinz wurde der König Preußens. Zehn Jahre später lud der Regent Voltaire nach Potsdam ein und ernannte ihn zum Kammerherrn des 1747 vollendeten Schlosses Sanssouci.
Der 58-jährige Philosoph blieb zwei Jahre. Er wollte den 17 Jahre jüngeren Freund für seine Ideen von Freiheit und Toleranz gewinnen, lehrte ihn in der königlichen Bibliothek Rhetorik, Dichtkunst und Philosophie. Friedrich II. umgab sich in Potsdam mit mehreren französischen Gelehrten und war einer der meistpublizierten Autoren seiner Zeit. In seinem Werk „Antimachiavell“ erklärte er seine humanistischen Ideen einer breiteren Öffentlichkeit.
Die aufklärerischen Maßnahmen führten zu Vorteilen für seine Untertanen, die ihn fast liebevoll „Alter Fritz“ nannten: Abschaffung der Folter, Aufhebung der Zensur, Senkung von Getreidepreisen und Reformation der Justiz. Zum Alltag seiner Politik gehörten jedoch vor allem zahlreiche Kriege und politische Intrigen.
Schöngeistiger Kriegsherr und Philosophenkönig
Voltaire propagierte einen „aufgeklärten Absolutismus“ und sah in Friedrich einen „guten König“. In Kriegszeiten griff er die preußischen Territorialbestrebungen jedoch scharf an. Im Februar 1747, inmitten der Schlesischen Kriege, bezeichnete der Dichter den König ironisch als „Philosophenfürst, der sich seine Zeit einteilt, um Schlachten zu liefern und Opern zu geben, der sich auf den Krieg, den Frieden und auf Dichtung und Musik versteht, der Missbräuche in der Justiz beseitigt und zu alledem der herausragendste Schöngeist Europas ist.“
Entsetzt schrieb er auch: „Werden Sie denn niemals aufhören, Sie und Ihre Amtsbrüder, die Könige, diese Erde zu verwüsten, die Sie, sagen Sie, so gerne glücklich machen wollen.“ Der König befand sich zur selben Zeit auf dem Schlachtfeld. Er galt als „roi charmant“, da er nicht vom Schreibtisch aus Schlachten dirigierte, sondern Kriegshandlungen vor Ort beeinflusste.
Zierde der Literatur und Ehre des Menschengeistes
Der ehrgeizige Dichter strebte nach mehr Einfluss, spann Intrigen, um dem Präsidenten der neu gegründeten Akademie der Wissenschaften seinen Posten streitig zu machen. Friedrich II. sprach wütend von einer „Unverfrorenheit“, ließ sogar ein Buch Voltaires öffentlich verbrennen. Vorbei die Zeit, als er den Dichter als „die Zierde der Literatur und die Ehre des Menschengeistes“ pries. Voltaire reiste im März 1753 überstürzt ab, unter dem Vorwand, er wolle zur Kur fahren. In Frankfurt am Main ließ der König ihn gar verhaften, weil er einen Gedichtband zurückverlangte, den er seinem ehemaligen Vorbild selbst geschenkt hatte.
Bereits ein Jahr nach dem Eklat begannen die beiden aber wieder eine ausführliche, schmeichelhafte Korrespondenz – offensichtlich schätzten sie sich gegenseitig, brauchten aber die Distanz. Mal ging es um Alltägliches, dann um grundlegende Ideen über gerechte Kriege, über Toleranz und Vernunft. Während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) nannte Voltaire seinen einstigen Freund zornig „Marquis de Brandenbourg“, nach dem Frieden von Hubertusburg am 15. Februar 1763 glätteten sich die Wogen wieder. Voltaire schrieb „Sie vergaßen, dass ich ein Mensch war.“ und Friedrich antwortete „Hätten Sie mir das (…) vor zehn Jahren gesagt, so wären Sie noch hier.“
An Voltaires zweitem Todestag 1780 ließ der „Alte Fritz“ ein feierliches Totenamt für sein großes Vorbild halten. Mit 700 Einzelschriften hinterließ Voltaire seiner Nachwelt eines der umfassendsten Werke der Literatur- und Geistesgeschichte. Dass er noch bis zu seinem Tod am 17. August 1786 arbeitete, zeigt sein Sterbeort: Er schlief im Schloss Sanssouci auf seinem Sessel ein.