Dem Choleriker läuft die Galle über: Aderlass als Allheilmittel

Während Mediziner ihren Patienten heutzutage bei Untersuchungen nur geringe Mengen an Blut abnehmen, brauchten die Bader vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit für den Aderlass bis zu einem Liter. Die Methode basiert auf der bis ins frühe 19. Jahrhundert

James Gillray: Der Aderlass (um 1805)
James Gillray: Der Aderlass (um 1805)

anerkannten Viersäftelehre (Humoralpathologie).  Danach besteht jeder Körper aus vier Säften und erkrankt, wenn diese aus dem Gleichgewicht geraten (Dyskrasie). Jedem der Säfte wurde ein Organ zugeordnet, das die Substanz speichern, umwandeln oder erzeugen könne.

Zu den Säften Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle wurden die Elemente Luft, Wasser, Feuer und Erde sowie die vier Jahreszeiten  hinzugenommen. Mit den Grundqualitäten warm, trocken, kalt und feucht ergaben sich daraus verschiedene Zuordnungsmöglichkeiten.  Eine gute Mischung der Körpersäfte wollten Bader durch zusätzliche Behandlungen erzielen: Schröpfen, Erbrechen herbeiführen, Abführen oder Schwitzen.

Bestimmt das Blut den menschlichen Charakter?

Die Viersäftelehre geht zurück auf Hippokrates von Kós, den berühmtesten Arzt des Altertums und Begründer der Medizin als Wissenschaft im 5. Jahrhundert v. Chr. 700 Jahre später nahm der Römer Galenus von Pergamon, der das medizinische Wissen seiner Zeit in über 400 Schriften systematisch zusammengestellt hat, die Lehre wieder auf. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war sie als Krankheitskonzept allgemein anerkannt. Erst der französische Mediziner Pierre Charles Alexandre Louis (1787-1872) bewies, dass der Aderlass in vielen Fällen nutzlos und schädlich war.

Galenus unterschied vier „Haupttemperamente“ und ordnete ihnen verschiedene Körperflüssigkeiten zu. Sanguiniker (Blut): heiterer Mensch, Choleriker (gelbe Galle): aufbrausender Mensch, Melancholiker (schwarze Galle): in sich gekehrter Mensch, Phlegmatiker (Schleim): sehr ruhiger Mensch. Mit diesem Prinzip schien die Analyse einfach und in Krünitz‘ Enzyklopädie werden die Typen ausführlich beschrieben, z. B. der Choleriker als „zornmüthiger Mensch“, dem „die Galle überläuft“ (bis heute sprichwörtlich gebraucht).

Charakterstudien in Johann Krünitz‘ Enzyklopädie

Hippocrates-Büste von J. G. de Lint
Hippocrates-Büste von J. G. de Lint

Die Charakterstudie des Sanguinikers ist aus heutiger Sicht besonders interessant. Er habe „ein munteres reizbares Temperament“ das „von einer guten Dosis Blut herrührt“. Seine Nervenfasern seien „zart und etwas schlaff gespannt“, in den Adern „wälzt sich eine Menge Blut, welches nicht wenige Eisentheile enthält.“ Sein Temperament habe den „Charakter der lustigen, sorglosen Jugend“, er sei aber „in seinen Unternehmungen flüchtig, unstet und veränderlich“ und liebe „Vergnügungen jeder Art, besonders die den Sinnen schmeicheln“.

Der Sanguiniker schließe schnell Freundschaften, weil „sein Herz von Natur gut ist und gegen Niemand Mißtrauen hegt“. Auch für seine Arbeitsmoral sollte das Blut verantwortlich sein: „Arbeiten, welche mit Beschwerlichkeiten und der Anstrengung des Geistes und der Muskeln verbunden sind, werden ihm lästig. Er verspricht viel und leistet wenig.“ Krünitz beschrieb ihn als naiven Taugenichts: „Die Zukunft macht ihm keine Sorgen; nur der gegenwärtige Tag beschäftiget ihn im Genusse des Wonnegefühls.“ Sein Verstand sei „mittelmäßig“, doch sein Witz „glänzend und treffend“.  Krünitz machte es sich mit dieser Methode sehr einfach. Doch die individuellen Charaktere durch ihr Blut zu definieren, scheint uns heute absurd.

Bibliografie zur Frühen Neuzeit und zu Maria Sibylla Merian

Arndt, Ingo, Nomaden des Windes: Der Zug der Monarchfalter und andere Schmetterlingswunder, München, 2008

Bausinger, Hermann/Klaus Beyrer/Gottfried Korff (Hg.), Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, München, 1991

Benoît, Pierre J., Voyage à Surinam Description des possessions Néederlandaises dans la Guyane, Bruxelles, 1839

Diedrich, Hans H. (Hg.), Geschichte der Kunst und der künstlerischen Techniken, Bd. 3: Holzschnitt, Kupferstich, Lithographie, Frankfurt/M., 1968

Dülmen, Richard van, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, zweiter Band: Dorf und Stadt 16.-18. Jahrhundert, München, 1992 

Elias Luzacs, Advokat bey den Gerichten von Holland, Seeland und Westfriesland: Betrachtungen über den Ursprung des Handels und der Macht der Holländer Greifswald, 1788-1790

Farge, Arlette/ Natalie Zemon Davis (Hg.), Geschichte der Frauen, Bd. 3, Frühe Neuzeit, Frankfurt/Main, New York, 1994

Fischer, Gudrun (Hg.), Darwins Schwestern, Porträts von Naturforscherinnen und Biologinnen, Berlin, 2009

George, Uwe, Der Raupen wunderbare Verwandelung. Auf den Spuren der naturforschenden Malerin Maria Sibylla Merian im südamerikanischen Surinam. In: Geo 7/1990, S. 10-36

George, Uwe, Regenwald, Hamburg, 1985

Goslinga, Cornelis Ch., The Dutch in the Caribbean and in the Guianas 1680-1791, Assen/Maastricht, 1985

Großkinsky, Manfred (Hg.), Die Entdeckung der Pflanzenwelt: Botanische Drucke vom 15. bis 19. Jahrhundert aus der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Petersberg, 2009

Heniger, Johannes, Hendrik Adriaan van Reede tot Drakenstein (1636 – 1691) and Hortus Mal, Rotterdam, 1986

Heyden, Eduard, Gallerie berühmter und merkwürdiger Frankfurter, Frankfurt, 1861

Hirsching, Friedrich Carl Gottlob: Historisch-litterarisches Handbuch berühmter und denkwürdiger Personen, welche in dem 18. Jahrhunderte gestorben sind, Leipzig, 1800.

Hoerner, Wilhelm, Metamorphose und Urbild; eine naturkundliche Studie mit einer Lebensbeschreibung und Bildern aus dem Werk der Maria Sibylla Merian, Stuttgart, 1991 

Huxley, Robert (Hg.), Die großen Naturforscher von Aristoteles bis Darwin, München, 2007

Illiger, Karl, Monographie der Elateren mit leuchtenden Flecken auf dem Halsschilde. In: Magazin für die neuesten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde. Berlin, 1807

Johnson, Donald S./Juha Nurminen, Die große Geschichte der Seefahrt. 3000 Jahre Expeditionen, Handel und Navigation, Hamburg, 2008

Kaiser, Helmut, Maria Sibylla Merian. Eine Biographie, Düsseldorf, 1997

Kappler, August, Leben und Reisen im tropischen Regenwald. Erlebnisse und Erfahrungen während eines 43jährigen Aufenthalts in Holländisch-Guyana/Surinam 1836-1879, Wiesbaden, 2008

Kappler, August, Sechs Jahre in Surinam oder Bilder aus dem militärischen Leben dieser Colonie, und Skizzen zur Kenntniss seiner socialen und naturwissenschaftlichen Verhältnisse, Stuttgart, 1854

Ketting, Herrmann, Prins Willem. Ein Ostindienfahrer des 17. Jahrhunderts, Bielefeld, 1981

Koppers, Jakob, Niederländisch Guyana oder Surinam. Inaugural-Dissertation an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, Bonn, 1911

Krempien, Petra, Geschichte des Reisens und des Tourismus: Ein Überblick von den Anfängen bis zur Gegenwart, Limburgerhof, 2000.

Krohn, Heinrich, Welche Lust gewährt das Reisen! Mit Kutsche, Schiff und Eisenbahn, München, 1985.

Krünitz, Johann Georg, D. Johann Georg Krünitz ökonomisch-technologische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft, wie auch der Erdbeschreibung, Kunst- und Naturgeschichte…, Berlin, 1805

Kühn, Dieter, Frau Merian!, Frankfurt/Main, 2002

Mägdefrau, Karl, Geschichte der Botanik. Leben und Leistung großer Forscher, Stuttgart, 1973

Martin, Karl, Bericht über eine Reise nach Niederländisch West-Indien und darauf gegründete Studien, Leiden, 1887

Merian, Maria Sibylla, Der Raupen wunderbare Verwandlung, Nürnberg, 1679.

Merian, Maria Sibylla, Metamorphosis Insectorum Surinamensium, Amsterdam, 1705, Reprint, Leipzig 1975

Merian, Maria Sibylla, Neues Blumenbuch, Faksimile-Ausgabe der Ausgabe Nürnberg 1680, nebst Begleittext von Thomas Bürger und Marina Heilmeyer, München, 1999

Merian, Maria Sibylla, Schmetterlinge, Käfer und andere Insekten. Leningrader Studienbuch,

Merian, Maria Sibylla: Das Insektenbuch, Frankfurt/Main, 2002

Merian, Maria Sibylla: Das kleine Buch der Tropenwunder, Geleitwort von Friedrich Schnack. Leipzig 1935. Frankfurt/Main, Leipzig, 1999

Merian, Matthaeus, Merians Welt der Tiere. 2859 historische Vorlagen von Vierfüßlern, Vögeln, Fischen, Niederen Tieren, Insekten, Schlangen und Drachen, Augsburg, 1990

Miller, Russell, Die Ostindienfahrer, Amsterdam, 1981

Münch, Paul, Lebensformen in der Frühen Neuzeit: 1500 bis 1800 Berlin, 1998

Natalie Zemon Davis, Metamorphosen: Das Leben der Maria Sibylla Merian, Berlin, 2003

Neukirchen, Heinz, Seefahrt gestern und heute, Berlin, 1979

Pfister-Burkhalter, Margarete, Maria Sibylla Merian, Leben und Werk 1647-1717, Basel, 1980

Pröve, Ralf/Holger Thoma Gräf, Wege ins Ungewisse. Reisen in der Frühen Neuzeit 1500-1800, Frankfurt/M, 1997

Redi, Francesco, Esperienze Intorno Alla Generazione Degl’Insetti,Firenze, 1668

Reitsma, Ella, Maria Sibylla Merian and Daughters. Women of Art and Science, Zwolle, 2008
Rice, Anthony, Der verzauberte Blick. Das Naturbild berühmter Expeditionen aus drei Jahrhunderten, München, 2004

Rücker, Elisabeth, Maria Sibylla Merian. 1647-1717, Nürnberg, 1967

Rumpf, Georg Eberhard, The Ambonese curiosity cabinet, hrsg. Von E. M. Beekman, Yale, 1999

Schiebinger, Londa, Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft. Stuttgart, 1993

Schmidt-Loske, Katharina, Die Tierwelt der Maria Sibylla Merian (1647 – 1717); Arten, Beschreibungen und Illustrationen, Marburg/Lahn, 2007

Sievernich, Gereon (Hg.), America. 1590 – 1634. Amerika oder die Neue Welt. Die „Entdeckung“ eines Kontinents in 346 Kupferstichen von de Bry, Berlin, 1990

Staehelin, Fritz: Die Mission der Brüdergemeine in Suriname und Berbice im achtzehnten Jahrhundert: Teil I, Teil II,1 und Teil II,2 : eine Missionsgeschichte hauptsächlich in Briefen und Originalberichten, Hildesheim, 1997

Stocker, Juerg, Kultur und Kleidung der Barockzeit, Zürich, 1964

Swammerdamm, Johann, Bibel der Natur, worinnen die Insekten in gewisse Classen vertheilt, sorgfältig beschrieben, zergliedert, in sauberen Kupferstichen vorgestellt…, Leipzig, 1752

Todd, Kim, Chrysalis: Maria Sibylla Merian and the secrets of metamorphosis, New York, 2007

Van Leeuwenhoek, Antoni, The select works of Antony van Leeuwenhoek, containing his microscopical discoveries in many of the works of nature, London, 1800

Wettengl,  Kurt, Maria Sibylla Merian 1647-1717, Künstlerin und Naturforscherin, Frankfurt/Main, 1997

Wolf-Graaf, Anke, Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit: Eine Bildchronik, Weinheim, Basel, 1983

Wunderlich, Dieter, Eigensinnige Frauen. Zehn Porträts, München, 2004

Wuthenow, Ralph-Rainer, Die erfahrene Welt. Europäische Reiseliteratur im Zeitalter der Aufklärung, Frankfurt/Main, 1980

Zedler, Johann Heinrich, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden… , Halle, Leipzig, 1732 – 1754

Maria Sibylla Merian: Pionierin in Kunst und Wissenschaft

Wie kamen die Schmetterlinge zur Kupferstecherin?

Die begabte Malerin und Kupferstecherin Maria Sibylla Merian (1647-1717) hatte schon als Kind die Metamorphose von Schmetterlingen beobachtet und gemalt. Das Thema begleitete sie ihr ganzes Leben, und 1699 nahm sie im Alter von 52 Jahren nur in Begleitung ihrer Tochter eine anstrengende Überseefahrt nach Surinam auf sich, um tropische Insekten zu erforschen.

Dabei waren schon Fahrten in der Postkutsche innerhalb Europas eine Tortur! Und ganz ungefährlich war das Erforschen von Insekten für Frauen in einer abergläubischen Zeit mit Hexenverfolgungen nicht. Die seriöse Naturforschung steckte damals noch in ihren Kinderschuhen.

Aristoteles hatte eine bequeme Theorie entwickelt, die lange vorherrschte: Insekten entstehen aus Schlamm. Manche Zeitgenossen behaupteten gar, Schmetterlinge seien verzauberte Hexen.

Von Merians Reise existieren nur wenige Beweise, darunter ein Eintrag auf der Passagierliste des riesigen Segelschiffes. Während ihrer Zeit in Surinam hat sie in kurzen Texten die Pflanzen und Schmetterlingsarten beschrieben. Man muss zwischen den Zeilen lesen, um kulturhistorische Details zu erfahren, z. B. über Bräuche der indigenen Bevölkerung und die Kolonialpolitik der Niederlande.

Maria Sibylla Merian. Reise nach Surinam
Bildbiografie über Maria Sibylla Merian, Autorin: Kathrin Schubert

Kathrin Schubert: Maria Sibylla Merian. Reise nach Surinam, Frederking & Thaler / GEO 2010, ISBN 3894057726 „[…] Das Leben dieser 1647 in Frankfurt am Main geborenen Forscherin und Künstlerin in ihrem zeitgeschichtlichen Umfeld auf besonders anschauliche Weise darzustellen, ist das Verdienst von Kathrin Schuberts Band „Reise nach Surinam“. […] Rezension in der Süddeutschen Zeitung (23.09.2010)

„Auf den Spuren einer Frau, Künstlerin und Entdeckerin: 1699 begab sich Maria Sibylla Merian auf eine Forschungsreise nach Surinam. Aktuelle Fotos kombiniert mit Tagebuchauszügen, Karten und den Aquarellen Merians lassen diese aufregende Reise wieder lebendig werden. Begleiten Sie die zielstrebige Wissenschaftlerin und Künstlerin, die bis heute fasziniert.“ GeraNova Bruckmann

Über die Autorin: Die Wortjongleurin Kathrin Schubert M.A. hat Romanistik, Literaturwissenschaft und Medienwissenschaft studiert und arbeitet seit 10 Jahren als Übersetzerin, Autorin und Lektorin in München. Die „Wortjongleurin“ pflegt diesen Blog aus Interesse. Kommentare und Gastbeiträge sind herzlich willkommen!