Josephs II. Lieblingsprojekt: Das Gesundheitswesen

Die Rolle der Krankenhäuser änderte sich im 18. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich grundlegend. Bis dahin hatten die Kirche und pflegende Orden sich für arme Menschen verantwortlich gezeigt. Im Geiste der Aufklärung war das öffentliche Gesundheitswesen insbesondere Kaiser Joseph II. ein wichtiges Anliegen. Mit der Gründung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien – bis heute das größte Krankenhaus Österreichs – verbesserte sich auch die Situation der Ärzte. Da in immer größeren Kliniken ganze Patientengruppen mit denselben Symptomen zusammenkamen, mussten sie sich nicht weiter auf unklare, subjektive Schilderungen von Kranken stützen, sondern profitierten vom gegenseitigen Wissen und führten Routineuntersuchungen wie Abtasten, Abklopfen oder Abhorchen ein. Außerdem trugen medizinische Handbücher zur Aufklärung und eigenständigen Erkennung von Symptomen bei. Krankheiten wurden nicht länger als „Strafe Gottes“ für Sünden, Gesundheit wurde nicht mehr als „Geschenk Gottes“ angesehen. Aufgeklärte Menschen machten sich bewusst, dass sie selbst für ihren Körper verantwortlich waren. Arzneien wurden zugänglicher und in größeren Mengen hergestellt, obwohl sie nicht immer die versprochene Wirkung herbeiführen konnten – vielleicht half manchmal schon der Placebo-Effekt. In ländlichen Gegenden waren die meisten Einwohner jedoch weiterhin auf bezahlbare medizinische Versorgung durch dörfliche Hebammen, Kräuterheiler oder Wundheiler angewiesen. Konsultationen bei praktisch zugelassenen, studierten Ärzten konnten sich nur Wohlhabende leisten.

Erste Impfmethoden aus dem Orient

Anfang des 18. Jahrhunderts war das Impfen vielerorts noch als Quacksalberei und Teufelszeug angesehen, während es in anderen Ländern sogar in Dörfern praktiziert wurde. Auf einer Reise durch das Osmanische Reich erlebte die Schriftstellerin Lady Mary Montagu im Jahr 1717 die erste große Impfung in Konstantinopel. Ihrer Freundin Lady Sarah Chiswell schrieb sie: „Die Blattern, die bei uns so gefährlich und verbreitet sind, werden hier mittels der Pfropfung (Impfung), wie sie es nennen, ganz unschädlich. Gewisse alte Weiber machen sich ein Geschäft daraus, die Operation zu verrichten. Die Familien befragen sich untereinander, ob jemand unter ihnen die Blattern haben will. Sie schließen sich zu Gesellschaften zusammen, und wenn ihrer genug sind, gewöhnlich fünfzehn oder sechzehn, dann kommt die alte Frau mit einer Nussschale voll Blatternmaterie von der besten Art. Sie fragt, welche Ader man geöffnet haben will.“ Durch Einritzen in die Haut infizierten sich die Menschen und bekamen nach einer Woche Fieber, das wenige Tage anhielt. Durch dieses Verfahren entstanden zwar einige Pocken, diese heilten jedoch ab, ohne Narben zu hinterlassen und verschafften den Betroffenen Immunität. Der österreichischen Königin Maria Theresia hätte diese Maßnahme viel Leid erspart. Sie litt nach ihrer Krankheit so sehr an den Narben, dass sie alle Spiegel im Schloss abnehmen ließ.

Präventivmaßnahmen werden salonfähig

Nach ihrer Rückkehr gelang es Lady Montagu, zwei Ärzte für die Pockenimpfung zu gewinnen und hatte zunächst so weitgehenden Erfolg, dass sich gar zwei Mitglieder der königlichen Familie impfen ließen. Der Widerstand und die Feindschaft eines Großteils der Ärzteschaft folgte jedoch prompt, wie die Lady es vorausgesagt hatte – „diese Krankheit ist für sie zu einträglich, um nicht den kühnen Ritter, der es wagen sollte, ihr den Garaus zu machen, ihrer ganzen Rache auszuliefern.“ Dazu kam die Verdammung durch die hohe Geistlichkeit, die gegen den „heidnischen Brauch“, der in die Pläne der göttlichen Vorsehung eingriffe, predigte. So verlief der fortschrittliche Plan in England im Sande. Erst im Jahr 1796 entwickelte der englische Landarzt Edward Jenner eine zuverlässige Impfmethode gegen die gefährlichen Pocken bzw. Blattern. Er fand heraus, dass Landarbeiter, die sich bereits mit den harmlosen Kuhpocken infiziert hatten, oft von den gefährlichen, meist tödlich verlaufenden Menschenpocken verschont blieben. Im Jahr 1796 infizierte Jenner Patienten gezielt mit Kuhpocken und begründete damit die Methode der „aktiven Immunisierung“, bei welcher der Körper zur eigenständigen Bildung spezifischer Abwehrstoffe befähigt wird.

Warum wurden in Badstuben Zähne gezogen?

Der Beruf des Baders hat eine traditionsreiche Geschichte. Schon im Mittelalter hatten viele Ortschaften ein Badhaus. Barbiere und Bader waren in der Frühen Neuzeit  vielerorts Ärzte für die „kleinen Leute“, die selten Zugang zu medizinischen Einrichtungen hatten. In Badestuben wurde nicht nur die Körperpflege angeboten. Auch Aderlassen, Schröpfen, Zahn- und Augenheilkunde, ja sogar chirurgische Eingriffe zählten zu den Dienstleistungen. Hier musste besonders schnell und präzise gearbeitet werden, sonst bestand die Gefahr, dass der Patient am Schock seiner Schmerzen starb – denn die Narkose wurde erst 1846 eingeführt! Barbiere stutzen nicht nur Haare und Bärte, sondern nahmen operative Eingriffe wie Starstiche, Amputationen oder Frakturbehandlungen vor.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) verordneten viele Landesherren die Schließung von Badestuben, woraufhin die Bader und Barbiere ihre Dienste im Freien verrichteten. Durch die im 18. Jahrhundert forcierte Errichtung von Krankenhäusern für Bedürftige blieb ihnen nur noch der Bereich Heilkunde, denn wissenschaftlich ausgebildete und besser ausgerüstete Universitätsärzte übernahmen riskante Eingriffe und komplexe Behandlungen.

Warnung vor Badern im „Betrugs-Lexicon”

Von Anfang an gehörte der Bader zu der untersten sozialen Schicht und hatte nur ein geringes Ansehen. Da manche Betreiber keine getrennten Räume für Männer und Frauen bereitstellten, haftete dem „sündigen“ Badhaus außerdem ein schlechter Ruf an. Georg Paul Hönn, ein Beamter am Coburger Hof veröffentlichte 1743 sein „Betrugs-Lexicon”, das noch heute als wichtiges Zeitzeugnis zum Alltagsverständnis des 18. Jahrhunderts gilt. Betrügerischen Badern warf er darin vor, auf „Quacksalberische Art und Weise“ Patienten anzulocken und zu viel Geld für zu schlechte Leistungen zu verlangen. Seiner Meinung nach würden diese Bader „die Patienten mit ihren Schäden öffters vorsetzlicher weise aufhalten / damit sie an ihnen desto länger zu curiren und folglich mehr Geld zu verdienen haben“.

Viele hielt er für wahre Scharlatane, wenn sie „solche Patienten annehmen und curiren wollen, von deren Schäden und Beschwerung sie keine Erfahrung haben, ja offt nicht einmahl etwas davon gehöret“. Wieder andere prahlten anscheinend, „in was Hochachtung sie bey diesem und jenem berühmten Medico wären / von ihme öffters recommendirt würden / und daher auch von ihme sonderliche gute berühmte Artzneyen und Specifica“ bieten könnten. Der preußische König Friedrich I. anerkannte jedoch die grundsätzliche Funktion des Baders insbesondere für ländliche Gebiete und professionalisierte es in speziellen Ausbildungseinrichtungen wie der 1709 gegründeten Berliner Charité.

Körperwelten im „Anatomischen Theater“

Die Frühe Neuzeit war auch eine wichtige Epoche für die Anatomie. Durch das Sezieren von Leichen oder Tierkadavern konnten große Anatomen wie Albrecht von Haller in Deutschland, Marie-Francois-Yavier Bishat in Frankreich oder John Hunter in Schottland im wahrsten Sinne „in den Menschen hineinsehen“. Nicolaes Tulp, ein niederländischer Chirurg und einer der bekanntesten Ärzte des 17. Jahrhunderts veröffentlichte im Jahr 1641 sein Werk Observationeum medicarum libris tres (Medizinische Beobachtungen). Er schrieb es bewusst auf Latein, um das Volk von pseudomedizinischen Versuchen abzuhalten. Das von Zeitgenossen „Buch der Ungeheuer“ genannte Werk schildert detailliert 231 seiner beobachteten Fälle von Leiden und Tod, unter anderem von sezierten Tieren aus den holländischen Kolonien.

In großen Hörsälen, den sogenannten „Anatomischen Theatern“, konnten Studenten und Schaulustige die Sezierung von Menschen und Tieren „live“ beobachten. Für das lesende Publikum erschienen faszinierend bebilderte Anatomieatlanten, um die Hauptfunktion einzelner Organe zu erklären. Über Nerven und Drüsen war noch wenig bekannt. Doch Muskeln widmete Krünitz lange Artikel und zeigte seine Faszination: „Was wir aber an den Muskeln ganz vorzüglich bewundern müssen, das ist ihre große Sensibilität, welche darin bestehet, daß sie in gesunden Tagen bey jedem gelinden Reize, den ihnen unsere Lebensgeister entweder mit, oder ohne unsern Willen, ertheilen, augenblicklich anschwellen, das heißt, an ihren fleischigen Theilen sogleich merklich dicker werden, als sie sonst sind.“

Anatomie und Kunst

Künstler arbeiteten oft eng mit Anatomen zusammen, um den menschlichen Körper mit Muskeln, Herz, Blut- und Lymphgefäßen in ihren Modellen realitätsnah zu gestalten. Der österreichische Kaiser Joseph II. gab nach einem Besuch in Florenz 1786 Modelle aus Wachs an Anatomen wie Felice Fontana oder Paolo Mascagni in Auftrag, die noch heute in Wien zu bestaunen sind. Die Studien nehmen lebendige Posen ein, die an Rubens oder Raffael erinnern. Der zeitgenössische Künstler und Plastinator Gunther von Hagens wird sich für seine umstrittene Anatomie-Ausstellung „Körperwelten“ daran inspiriert haben.

Dem Choleriker läuft die Galle über: Aderlass als Allheilmittel

Während Mediziner ihren Patienten heutzutage bei Untersuchungen nur geringe Mengen an Blut abnehmen, brauchten die Bader vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit für den Aderlass bis zu einem Liter. Die Methode basiert auf der bis ins frühe 19. Jahrhundert

James Gillray: Der Aderlass (um 1805)
James Gillray: Der Aderlass (um 1805)

anerkannten Viersäftelehre (Humoralpathologie).  Danach besteht jeder Körper aus vier Säften und erkrankt, wenn diese aus dem Gleichgewicht geraten (Dyskrasie). Jedem der Säfte wurde ein Organ zugeordnet, das die Substanz speichern, umwandeln oder erzeugen könne.

Zu den Säften Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle wurden die Elemente Luft, Wasser, Feuer und Erde sowie die vier Jahreszeiten  hinzugenommen. Mit den Grundqualitäten warm, trocken, kalt und feucht ergaben sich daraus verschiedene Zuordnungsmöglichkeiten.  Eine gute Mischung der Körpersäfte wollten Bader durch zusätzliche Behandlungen erzielen: Schröpfen, Erbrechen herbeiführen, Abführen oder Schwitzen.

Bestimmt das Blut den menschlichen Charakter?

Die Viersäftelehre geht zurück auf Hippokrates von Kós, den berühmtesten Arzt des Altertums und Begründer der Medizin als Wissenschaft im 5. Jahrhundert v. Chr. 700 Jahre später nahm der Römer Galenus von Pergamon, der das medizinische Wissen seiner Zeit in über 400 Schriften systematisch zusammengestellt hat, die Lehre wieder auf. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war sie als Krankheitskonzept allgemein anerkannt. Erst der französische Mediziner Pierre Charles Alexandre Louis (1787-1872) bewies, dass der Aderlass in vielen Fällen nutzlos und schädlich war.

Galenus unterschied vier „Haupttemperamente“ und ordnete ihnen verschiedene Körperflüssigkeiten zu. Sanguiniker (Blut): heiterer Mensch, Choleriker (gelbe Galle): aufbrausender Mensch, Melancholiker (schwarze Galle): in sich gekehrter Mensch, Phlegmatiker (Schleim): sehr ruhiger Mensch. Mit diesem Prinzip schien die Analyse einfach und in Krünitz‘ Enzyklopädie werden die Typen ausführlich beschrieben, z. B. der Choleriker als „zornmüthiger Mensch“, dem „die Galle überläuft“ (bis heute sprichwörtlich gebraucht).

Charakterstudien in Johann Krünitz‘ Enzyklopädie

Hippocrates-Büste von J. G. de Lint
Hippocrates-Büste von J. G. de Lint

Die Charakterstudie des Sanguinikers ist aus heutiger Sicht besonders interessant. Er habe „ein munteres reizbares Temperament“ das „von einer guten Dosis Blut herrührt“. Seine Nervenfasern seien „zart und etwas schlaff gespannt“, in den Adern „wälzt sich eine Menge Blut, welches nicht wenige Eisentheile enthält.“ Sein Temperament habe den „Charakter der lustigen, sorglosen Jugend“, er sei aber „in seinen Unternehmungen flüchtig, unstet und veränderlich“ und liebe „Vergnügungen jeder Art, besonders die den Sinnen schmeicheln“.

Der Sanguiniker schließe schnell Freundschaften, weil „sein Herz von Natur gut ist und gegen Niemand Mißtrauen hegt“. Auch für seine Arbeitsmoral sollte das Blut verantwortlich sein: „Arbeiten, welche mit Beschwerlichkeiten und der Anstrengung des Geistes und der Muskeln verbunden sind, werden ihm lästig. Er verspricht viel und leistet wenig.“ Krünitz beschrieb ihn als naiven Taugenichts: „Die Zukunft macht ihm keine Sorgen; nur der gegenwärtige Tag beschäftiget ihn im Genusse des Wonnegefühls.“ Sein Verstand sei „mittelmäßig“, doch sein Witz „glänzend und treffend“.  Krünitz machte es sich mit dieser Methode sehr einfach. Doch die individuellen Charaktere durch ihr Blut zu definieren, scheint uns heute absurd.