Aufklärer zwischen Gott und Galilei

Die Reformation im Heiligen Römischen Reich führte zu Grabenkämpfen zwischen den konfessionellen Lagern. Auslöser des jahrhundertelangen Disputs waren im Oktober 1517 Martin Luthers 95 Thesen über den Ablass, die er an das Portal der Schlosskirche zu Wittenberg schlug. Er traf einen wunden Punkt, denn auch viele Gläubige waren der Meinung, die Renaissancepäpste vernachlässigten ihr geistiges Amt, dem Klerus mangele es an theologischer Bildung und die im Land umherreisenden Ablassprediger repräsentieren eine unmoralische Finanzpolitik mit Ablässen.

Im Jahr 1812 übte auch der evangelisch-lutherische Theologe Heinrich Gustav Flörke in der Krünitzschen Enzyklopädie Kritik am Ablasshandel. Reformation definierte er als die „von der durch Luthern und seine Gehülfen geschehenen Abstellung der in die Kirche und den Lehrbegriff eingerissenen Mißbräuche und Irrthümer, welche einige im Deutschen die Glaubensverbesserung, andere aber richtiger und treffender die Glaubensreinigung nennen“. Aus lutherischen und reformierten Strömungen bildete sich daraufhin eine eigenständige evangelische Kirche heraus und begründete den christlichen Protestantismus.

Die Habsburgermonarchie strebte jedoch eine Rekatholisierung an. Ihre Gegenreformation reichte bis ins 18. Jahrhundert. Viele Kloster und Orden wurden gegründet, die Jesuiten gewannen wieder Terrain. Die Domkapitel der römisch-katholischen Kirche ernannten hauptsächlich Adlige zu Erzbischöfen und Bischöfen. Bis 1803 regierten die deutsche Reichskirche vorwiegend Fürstensöhne, Reichsritter und Alter Adel, weshalb Kritiker von einer „Adelskirche“ sprachen.

Mit Votivtafeln gegen den Teufel

Bestimmt durch das harte Leben, die geringe Lebenserwartung und die ständigen kriegerischen Handlungen hielten sich viele Menschen an der katholischen Religion fest. Der sogenannte „Barockkatholizismus“ bestimmte im 18. Jahrhundert das Alltagsleben. Die Landschaft wurde von Bildstöcken, Andachtskapellen, Heiligenfiguren und Votivtafeln geradezu übersät, aus Angst vor dem Teufel umgab man sich mit vermeintlich schützenden Devotionalien. Darüber hinaus erhofften sich Gläubige von Wallfahrten, Prozessionen und Bräuchen der Heiligenverehrung religiöse Erkenntnis, Heilung von Krankheiten und Hilfe in Notlagen.

Im Oktober 1716 entsetzte die religionskritische Lady Mary Montagu in Wien „der grobe Aberglaube des Pöbels“. Die scharfe Beobachterin berichtete: „Tag und Nacht brennen Votivkerzen vor den hölzernen Bildern, die fast an jeder Straße aufgestellt sind. Oft sehe ich Prozessionen; es ist ein Schaugepränge zum Lachen, so beleidigend und dem gesunden Menschenverstand zuwider“. Mehrere Reichsfürsten, das Stadtbürgertum und die Humanisten unterstützten die Reformbewegung, sodass sich der Staat von der Bevormundung durch die Kirche ablöste und den Spieß umdrehte: Die Kirche wurde unter staatliche Obhut gestellt.

Dies wurde insbesondere in Österreich forciert, wo Joseph II. 700-800 Klöster auflöste und Diözesen nach seinen Vorstellungen neu einteilte. Auch Reformen in manchen Hochstiften nach 1760 sowie die Abschaffung der Adelskirche und des Barockkatholizismus offenbarten eine Aufklärungsbewegung innerhalb der katholischen Kirche. Verstärkt durch publizistische Kritik an Klosterwesen, Mönchtum und geistlichen Staaten lag hier die Grundvoraussetzung für die Trennung von Kirche und Staat in vielen Ländern.

Gott oder Mensch – wer lenkt das Weltgeschehen?

Im Jahrhundert des aufgeklärten Rationalismus wurde die Frage „Worin besteht das Wesen der Religion?“ öffentlich diskutiert. Siegmund Jacob Baumgarten führte in seiner „Geschichte der Religionspartheyen“ neben den Hauptkonfessionen der Katholiken, Lutheraner und Reformierten auch Deisten, Atheisten, Juden, Mohammedaner, Pietisten, Quäker, Rosenkreuzer und Sekten auf. Der Münchner Geistliche, Publizist und Historiker Lorenz von Westenrieder erklärte im Jahr 1780 seine Auffassung der Aufklärung: „Es heißt wegräumen die mancherlei Hüllen und Decken vor den Augen, Platz machen dem Licht in Verstand und Herz, dass es jenen erleuchte, dieser erwärme, und eintreten in die Gebiete der Wahrheit und der Ordnung, wo die Bestimmung des Menschen, die wahre Glückseligkeit thront.“

Mit dem entstehenden naturwissenschaftlichen Weltbild wurde der Glaube an ein von Gott gelenktes Schicksal der Menschen zunichtegemacht. Galileis Unterstützung des kopernikanischen Weltbildes im „Dialogo“ brachte ihm 1632 einen Häresieprozess ein. Der Naturwissenschaftler beeinflusste die aufklärerische Weltanschauung maßgeblich, obwohl er selbst tiefgläubig war. Im 18. Jahrhundert rückten die Fronten in der Vernunftreligion Deismus zusammen. Für die Deisten hatte Gott die Welt mit allen Naturgesetzen geschaffen, überließ sie aber nun dem Handeln der Menschen. Berühmte Philosophen wie Voltaire vertraten den Standpunkt, es gäbe in allen Religionen und Konfessionen einen rationalen Kern des Glaubens.

Hexenjäger und Spinnen-Teufel

Das Hexenbild des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit war eine Konstruktion von Intellektuellen, die volkstümliche Zaubereitraditionen plötzlich mit dem Teufel verbanden. Im Krünitz wird Magie durch „geheime Weisheit, geheime Kunst“ oder Hexerei definiert, die übernatürliche Kräfte hervorbrächten: „Bey jener ließen sich die wunderbar scheinenden Wirkungen aus Gesetzen der Natur ableiten, bey dieser aber sollten Geister mit wirken.“ Je nachdem, ob die Geister gut oder böse waren, unterschied das Strafrecht frühmoderner Staaten „schwarze und weiße, oder sträfliche und unschuldige“ Magie.

In einer von alltäglichem Elend, Kriegen, regionalen Missernten und Krisen gequälten Epoche suchten breite Bevölkerungskreise nach Sündenböcken, sodass Hexenverfolgungen aktiv wie auch gegen den Willen der Obrigkeit praktiziert wurden. Etwa 40.000 bis 60.000 Todesopfer forderten die Hexenprozesse in ganz Europa, fast die Hälfte davon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.

Johann Georg Krünitz schrieb 1781: „Schrecken überfällt mich, wenn ich einen Blick auf jene Zeiten werfe, wo man durch Morden und Brennen die Länder entvölkerte, weil man die ungegründetesten Anklagen gegen Zauberer und Hexen theils durch Zwangsmittel, theils durch Geburten der Phantasie, dieser Erz=Betriegerinn, rechtskräftig machte.“ Er beschrieb die „abgeschmacktesten Meinungen“ der „Hexen-Entdecker“, die für ein Kopfgeld unschuldige Frauen aufgriffen: „so fand man auch recht sinnlich Teufel und Geister; und sollten es auch Spinnen und Fliegen seyn, welche die dienstfertige Einbildungskraft zu Teufeln umschuf“.

Warten auf Beelzebub

Um festzustellen, ob es sich um eine Hexe handele, sperrten die Peiniger ihr Opfer 24 Stunden lang gefesselt in einen Raum. Sie ließen ein Loch in der Tür, „um den Teufeln nicht allen Zugang zu verschliessen“ und warteten auf „eine sichtbare Erscheinung der den Hexen zugethanen behülflichen Schutzgeister oder Teufel, welche, wie dieses der damahlige Glaube war, ihnen Blut aussaugen würden“. Absurderweise sahen sie den Beelzebub und böse Geister in Spinnen- oder Fliegengestalt. Fand man auch nach dem Ausfegen der Räume noch eines dieser Tiere, „so mußte solche der Schutzgeist (Spiritus familiaris) oder zugeordnete Teufel der Hexe seyn“. Was man den vermeintlichen Hexen, Zauberern oder „Hexenkindern“ nach einer Verurteilung antat, ist mit Worten nicht zu beschreiben und an Grausamkeit nicht zu übertreffen.

Der Enzyklopädist Krünitz kannte seine Zeitgenossen und wusste, dass „das Vorurtheil für die Hexen noch nagelfest in dem Herzen des Pöbels sitzt“. Er drückte sein Entsetzen darüber aus, dass 1749 eine Frau in Würzburg verbrannt wurde, und hoffte, dass sie „das letzte Opfer des blinden Aberglaubens gewesen“, und dass „die vermeintlichen Zauberer und Hexen, so wie die so genannten Ketzer, das Glück haben werden, auf ihrem Bette sterben zu können“.

Späte Hexenprozesse

Krünitz‘ Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Im deutschsprachigen Raum wurden noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Frauen als „Hexen“ verbrannt. Im Jahr 1751 fand Anna Schnidenwind in Endingen am Kaiserstuhl einen gewaltsamen Tod. In Landshut wurde 1756 die 15-jährige Veronika Zeritschin enthauptet und als Hexe verbrannt. Der vermutlich letzte Hexenprozess mit tödlichem Ausgang fand 1782 ausgerechnet im reformierten Kanton Glarus statt. Die Hinrichtung der „Schweizer Hexe“ Anna Göldi rief europaweit Empörung hervor. Die erwähnten Frauen waren überwiegend Dienstmägde ohne Rückhalt ihrer „Herren“.

Hexenverfolgungen fanden in Mitteleuropa vor allem während der Frühen Neuzeit statt. Aus globaler Perspektive verbreiten Hexenjäger aber bis heute Angst und Schrecken, insbesondere in Afrika, Südostasien und Südamerika. Die Ursachen ähneln den damaligen: Armut, Not, Epidemien und mangelnde Bildung. Und auch die Opfer sind die Schwächsten in der Gesellschaft: Frauen, Alte, Kranke, Außenseiter, ja sogar Kinder, die sogenannten „Hexenkinder“ in afrikanischen Ländern.