Warum verschwand der Harlekin von der Bühne?

Um das Theater in Deutschland war es im 18. Jahrhundert schlecht bestellt. Schauspieler verdienten ihren Lebensunterhalt in fahrenden Theatergruppen, die Dorfplätze mit kurzweiligen Stücken auf bunt zusammengesetzten Bühnenvorlagen füllten. Es wurde mehr improvisiert als zitiert, hohe Tragödien wurden zur Unterhaltung des ungebildeten Volkes mit komischen Zwischenspielen und stereotypen Figuren verwässert.

Karel Dujardin, Commedia dell' arte, 1657
Karel Dujardin, Commedia dell‘ arte, 1657

Es gab den Liebhaber, den Lüstling, die schlaue Tochter, den alten Vater und den Harlekin. Den bildungshungrigen Bürger interessierten die Laienstücke der Wandertruppen nicht, sie erwarteten anspruchsvolle Unterhaltung in einem gehobenen Ambiente. Doch erst zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden in Wien, Mannheim, Berlin und München Nationaltheater errichtet.

Das aufklärerische Theater von Gottsched und Neuber

In seiner „Critischen Dichtkunst“ forderte der Leipziger Literaturprofessor Johann Christoph Gottsched bereits 1730 neue theoretische Leitkategorien für eine systematische Erneuerung des deutschen Dramas. Bürger sollten emanzipiert und Fürsten zu aufgeklärten Herrschern erzogen werden – und zwar nicht mit Stegreifspielen und Witzen, sondern mit fundierten, vom Geist der Aufklärung erhellten Dialogen und Handlungen.

Eine bedeutende Figur der aus der Mode gekommenen italienischen Commedia dell’arte, der Arlecchino, war Gottsched ein Dorn im Auge. Seine Streiche und Obszönitäten störten den geregelten Ablauf eines Theaterstückes mit moralischer Aussage. Als Fantasiefigur konnte er außerdem keine aufklärerischen Ideale transportieren. Um die Vertreibung des klassischen Harlekin aus dem aufklärerischen Theater zu symbolisieren, wurde im Jahr 1737 unter der Leitung der Schauspielerin und Ensemble-Leiterin Friederike Caroline Neuber eine Puppe auf der Bühne verbrannt.

Giovanni Michele Graneri, Teatro Regio in Turin, ca. 1752
Giovanni Michele Graneri, Teatro Regio in Turin, ca. 1752

Mit Neuber entwickelte Gottsched eine theoretische Theaterreform, die sie in Dramen praktisch umsetzte. Im Jahr 1727 erhielt die Neuberin das sächsische Hofprivileg, in Leipzig ein Theater zu errichten und gründete ihre „Neuber’sche Komödiantengesellschaft“. Sie bildete Schauspieler künstlerisch aus und zahlte feste Gehälter, was maßgeblich zur Anerkennung des Berufsstandes beitrug. Bis heute gilt Caroline Neuber als Begründerin des modernen Schauspiels und als Wegbereiterin des literarischen Theaters in Deutschland.

Gottscheds Theorie zog aber auch Kritik auf sich, da er die Ständeklausel weiter befolgen wollte. Gemäß dieser Klausel gab es nur ein adliges Trauerspiel und ein bürgerliches Lustspiel. Nur der Adel durfte in tragischen Figuren dargestellt werden, für den Bürger blieb die Komödie, seine Probleme und Schwächen wurden ausgelacht, da ihm nach Ansicht des Adels die Fähigkeit zum tragischen Erleben fehlte.

Bürger als tragische Helden

Als Gotthold Ephraim Lessing 1767 als Theaterdichter nach Hamburg berufen wurde, propagierte er mit Stücken wie „Emilia Galotti“ oder „Miss Sara Sampson“ das Gegenteil. Der Zuschauer sollte sich als Mensch mit dem Protagonisten identifizieren können – unabhängig von seiner gesellschaftlichen Position. Der Held sollte nicht immer ein Adliger sein, auch ein Bürger durfte nun im Mittelpunkt stehen: Aus Tragödien wurden bürgerliche Trauerspiele mit tragischem Ende. Beliebter waren jedoch „Rührstücke“ mit glücklichem Ausgang, die das Erfahren von sinnlicher Liebe im empfindsamen Schauspiel und das Streben nach gesellschaftlicher Emanzipation mit moralisch-erzieherischer Wirkungsabsicht hervorhoben.

Vorbilder für das deutsche Theater jener Zeit waren französische Tragödien von Corneille, Racine und Voltaire sowie Komödien von Molière, Beaumarchais oder Marivaux. Beaumarchais‘ Erfolgskomödie „Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro“ (1785) spiegelt die Konfrontation der drei Klassen – Adel, Geistlichkeit, Bourgeoisie – wider und stellt das Ancien Régime durch die Adelskritik in Frage.

Dem Choleriker läuft die Galle über: Aderlass als Allheilmittel

Während Mediziner ihren Patienten heutzutage bei Untersuchungen nur geringe Mengen an Blut abnehmen, brauchten die Bader vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit für den Aderlass bis zu einem Liter. Die Methode basiert auf der bis ins frühe 19. Jahrhundert

James Gillray: Der Aderlass (um 1805)
James Gillray: Der Aderlass (um 1805)

anerkannten Viersäftelehre (Humoralpathologie).  Danach besteht jeder Körper aus vier Säften und erkrankt, wenn diese aus dem Gleichgewicht geraten (Dyskrasie). Jedem der Säfte wurde ein Organ zugeordnet, das die Substanz speichern, umwandeln oder erzeugen könne.

Zu den Säften Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle wurden die Elemente Luft, Wasser, Feuer und Erde sowie die vier Jahreszeiten  hinzugenommen. Mit den Grundqualitäten warm, trocken, kalt und feucht ergaben sich daraus verschiedene Zuordnungsmöglichkeiten.  Eine gute Mischung der Körpersäfte wollten Bader durch zusätzliche Behandlungen erzielen: Schröpfen, Erbrechen herbeiführen, Abführen oder Schwitzen.

Bestimmt das Blut den menschlichen Charakter?

Die Viersäftelehre geht zurück auf Hippokrates von Kós, den berühmtesten Arzt des Altertums und Begründer der Medizin als Wissenschaft im 5. Jahrhundert v. Chr. 700 Jahre später nahm der Römer Galenus von Pergamon, der das medizinische Wissen seiner Zeit in über 400 Schriften systematisch zusammengestellt hat, die Lehre wieder auf. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war sie als Krankheitskonzept allgemein anerkannt. Erst der französische Mediziner Pierre Charles Alexandre Louis (1787-1872) bewies, dass der Aderlass in vielen Fällen nutzlos und schädlich war.

Galenus unterschied vier „Haupttemperamente“ und ordnete ihnen verschiedene Körperflüssigkeiten zu. Sanguiniker (Blut): heiterer Mensch, Choleriker (gelbe Galle): aufbrausender Mensch, Melancholiker (schwarze Galle): in sich gekehrter Mensch, Phlegmatiker (Schleim): sehr ruhiger Mensch. Mit diesem Prinzip schien die Analyse einfach und in Krünitz‘ Enzyklopädie werden die Typen ausführlich beschrieben, z. B. der Choleriker als „zornmüthiger Mensch“, dem „die Galle überläuft“ (bis heute sprichwörtlich gebraucht).

Charakterstudien in Johann Krünitz‘ Enzyklopädie

Hippocrates-Büste von J. G. de Lint
Hippocrates-Büste von J. G. de Lint

Die Charakterstudie des Sanguinikers ist aus heutiger Sicht besonders interessant. Er habe „ein munteres reizbares Temperament“ das „von einer guten Dosis Blut herrührt“. Seine Nervenfasern seien „zart und etwas schlaff gespannt“, in den Adern „wälzt sich eine Menge Blut, welches nicht wenige Eisentheile enthält.“ Sein Temperament habe den „Charakter der lustigen, sorglosen Jugend“, er sei aber „in seinen Unternehmungen flüchtig, unstet und veränderlich“ und liebe „Vergnügungen jeder Art, besonders die den Sinnen schmeicheln“.

Der Sanguiniker schließe schnell Freundschaften, weil „sein Herz von Natur gut ist und gegen Niemand Mißtrauen hegt“. Auch für seine Arbeitsmoral sollte das Blut verantwortlich sein: „Arbeiten, welche mit Beschwerlichkeiten und der Anstrengung des Geistes und der Muskeln verbunden sind, werden ihm lästig. Er verspricht viel und leistet wenig.“ Krünitz beschrieb ihn als naiven Taugenichts: „Die Zukunft macht ihm keine Sorgen; nur der gegenwärtige Tag beschäftiget ihn im Genusse des Wonnegefühls.“ Sein Verstand sei „mittelmäßig“, doch sein Witz „glänzend und treffend“.  Krünitz machte es sich mit dieser Methode sehr einfach. Doch die individuellen Charaktere durch ihr Blut zu definieren, scheint uns heute absurd.