Von Geldkatzen und Arbeitsbeuteln

Taschen werden heutzutage oft als Sammelobjekt für Frauen angesehen, die weniger nützlich als modisch sein müssen. Das Bayerische Nationalmuseum in München präsentierte in seiner Ausstellung „Taschen. Eine europäische Kulturgeschichte vom 16. bis 21. Jahrhundert“ eine breite Palette von Modellen der letzten Jahrhunderte, die wichtigen Zwecken dienten.

In der Frühen Neuzeit waren Taschen gerade für Männer von großer Bedeutung. Krünitz zählt mehr als drei Dutzend Modelle auf, darunter die Tabakstasche, Wagentasche oder die Gaukeltasche für Taschenspieler. Kurfürst Maximilian I. von Bayern trug im Gelände eine kunstvoll bestickte Jägertasche am Gürtel. Brieftaschen boten Fächer „mit mehreren Tafeln Pergament zum Notiren verschiedener Gegenstände, die sowohl im Geschäftsleben, als auch auf Reisen etc. vorkommen“.

Da im Heiligen Römischen Reich jedes Territorium eigene Währungen, Münz- und Maßeinheiten besaß, fertigten Täschner spezielle Modelle für Kaufmänner an. Das Bayerische Nationalmuseum ist besonders stolz auf einen 400 Jahre alten, voluminösen Lederbeutel, der an Riemen oder Ketten um den Bauch gebunden wurde. Er ist ausgestattet mit mehreren Zugbeuteln für verschiedene Münzen.

Wer viel reiste, trug einen Geldstrumpf oder eine „Geldkatze“ dicht am Körper. Krünitz erklärte „Landleute, Schlächter und andre Leute, welche viel Geld auf Reisen bey sich führen müssen, schütten in dergleichen Beutel ihr Geld, und spannen ihn, wie einen Gürtel, um den Leib.“ Von Tirol bis in die Steiermark trugen insbesondere Bauern und Handwerker in den Jahren 1700 bis 1850 einen ledernen Ranzen, das „Reisebündel eines Wanderers zu Fuß“.

Doch nicht alle Taschen waren notwendig. Einem verführerischen Zweck dienten kleine Beutel mit duftendem Inhalt, die galante Männer ihren Verlobten als Liebesgabe schenkten. Fromme Kirchengänger trugen gerne samtene Gebetbuchtaschen an Posamentenkordeln in den Gottesdienst. Blumenkörbe, Rosen und Schleifen aus Seidentaft, Seidenklöppelspitze und -bändchen schmückten seit Ende des 17. Jahrhunderts sogenannte Arbeitsbeutel der Hausfrauen. Die flachen Zugtaschen aus Leinengewebe hielten Utensilien für Handarbeiten jederzeit bereit. Und im Rokoko verbargen Frauen aller Schichten ihre Habseligkeiten geschickt in flachen Beuteln unter den weiten Röcken.

In den höheren Schichten  avancierten Frauentaschen zu kostbaren Luxusgegenständen. Besonders raffiniert war die Sablétechnik: Winzige, sandkornkleine Glasperlen wurden auf hauchdünne Seidenfäden aufgefädelt und durch Fadenschlingen verbunden. Die Technik wurde auch für Parfumflakons, Bucheinbände oder Damenpantoffeln, für Börsen und Brieftaschen genutzt. 

Hexenjäger und Spinnen-Teufel

Das Hexenbild des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit war eine Konstruktion von Intellektuellen, die volkstümliche Zaubereitraditionen plötzlich mit dem Teufel verbanden. Im Krünitz wird Magie durch „geheime Weisheit, geheime Kunst“ oder Hexerei definiert, die übernatürliche Kräfte hervorbrächten: „Bey jener ließen sich die wunderbar scheinenden Wirkungen aus Gesetzen der Natur ableiten, bey dieser aber sollten Geister mit wirken.“ Je nachdem, ob die Geister gut oder böse waren, unterschied das Strafrecht frühmoderner Staaten „schwarze und weiße, oder sträfliche und unschuldige“ Magie.

In einer von alltäglichem Elend, Kriegen, regionalen Missernten und Krisen gequälten Epoche suchten breite Bevölkerungskreise nach Sündenböcken, sodass Hexenverfolgungen aktiv wie auch gegen den Willen der Obrigkeit praktiziert wurden. Etwa 40.000 bis 60.000 Todesopfer forderten die Hexenprozesse in ganz Europa, fast die Hälfte davon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.

Johann Georg Krünitz schrieb 1781: „Schrecken überfällt mich, wenn ich einen Blick auf jene Zeiten werfe, wo man durch Morden und Brennen die Länder entvölkerte, weil man die ungegründetesten Anklagen gegen Zauberer und Hexen theils durch Zwangsmittel, theils durch Geburten der Phantasie, dieser Erz=Betriegerinn, rechtskräftig machte.“ Er beschrieb die „abgeschmacktesten Meinungen“ der „Hexen-Entdecker“, die für ein Kopfgeld unschuldige Frauen aufgriffen: „so fand man auch recht sinnlich Teufel und Geister; und sollten es auch Spinnen und Fliegen seyn, welche die dienstfertige Einbildungskraft zu Teufeln umschuf“.

Warten auf Beelzebub

Um festzustellen, ob es sich um eine Hexe handele, sperrten die Peiniger ihr Opfer 24 Stunden lang gefesselt in einen Raum. Sie ließen ein Loch in der Tür, „um den Teufeln nicht allen Zugang zu verschliessen“ und warteten auf „eine sichtbare Erscheinung der den Hexen zugethanen behülflichen Schutzgeister oder Teufel, welche, wie dieses der damahlige Glaube war, ihnen Blut aussaugen würden“. Absurderweise sahen sie den Beelzebub und böse Geister in Spinnen- oder Fliegengestalt. Fand man auch nach dem Ausfegen der Räume noch eines dieser Tiere, „so mußte solche der Schutzgeist (Spiritus familiaris) oder zugeordnete Teufel der Hexe seyn“. Was man den vermeintlichen Hexen, Zauberern oder „Hexenkindern“ nach einer Verurteilung antat, ist mit Worten nicht zu beschreiben und an Grausamkeit nicht zu übertreffen.

Der Enzyklopädist Krünitz kannte seine Zeitgenossen und wusste, dass „das Vorurtheil für die Hexen noch nagelfest in dem Herzen des Pöbels sitzt“. Er drückte sein Entsetzen darüber aus, dass 1749 eine Frau in Würzburg verbrannt wurde, und hoffte, dass sie „das letzte Opfer des blinden Aberglaubens gewesen“, und dass „die vermeintlichen Zauberer und Hexen, so wie die so genannten Ketzer, das Glück haben werden, auf ihrem Bette sterben zu können“.

Späte Hexenprozesse

Krünitz‘ Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht. Im deutschsprachigen Raum wurden noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Frauen als „Hexen“ verbrannt. Im Jahr 1751 fand Anna Schnidenwind in Endingen am Kaiserstuhl einen gewaltsamen Tod. In Landshut wurde 1756 die 15-jährige Veronika Zeritschin enthauptet und als Hexe verbrannt. Der vermutlich letzte Hexenprozess mit tödlichem Ausgang fand 1782 ausgerechnet im reformierten Kanton Glarus statt. Die Hinrichtung der „Schweizer Hexe“ Anna Göldi rief europaweit Empörung hervor. Die erwähnten Frauen waren überwiegend Dienstmägde ohne Rückhalt ihrer „Herren“.

Hexenverfolgungen fanden in Mitteleuropa vor allem während der Frühen Neuzeit statt. Aus globaler Perspektive verbreiten Hexenjäger aber bis heute Angst und Schrecken, insbesondere in Afrika, Südostasien und Südamerika. Die Ursachen ähneln den damaligen: Armut, Not, Epidemien und mangelnde Bildung. Und auch die Opfer sind die Schwächsten in der Gesellschaft: Frauen, Alte, Kranke, Außenseiter, ja sogar Kinder, die sogenannten „Hexenkinder“ in afrikanischen Ländern.

Josephs II. Lieblingsprojekt: Das Gesundheitswesen

Die Rolle der Krankenhäuser änderte sich im 18. Jahrhundert im Heiligen Römischen Reich grundlegend. Bis dahin hatten die Kirche und pflegende Orden sich für arme Menschen verantwortlich gezeigt. Im Geiste der Aufklärung war das öffentliche Gesundheitswesen insbesondere Kaiser Joseph II. ein wichtiges Anliegen. Mit der Gründung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien – bis heute das größte Krankenhaus Österreichs – verbesserte sich auch die Situation der Ärzte. Da in immer größeren Kliniken ganze Patientengruppen mit denselben Symptomen zusammenkamen, mussten sie sich nicht weiter auf unklare, subjektive Schilderungen von Kranken stützen, sondern profitierten vom gegenseitigen Wissen und führten Routineuntersuchungen wie Abtasten, Abklopfen oder Abhorchen ein. Außerdem trugen medizinische Handbücher zur Aufklärung und eigenständigen Erkennung von Symptomen bei. Krankheiten wurden nicht länger als „Strafe Gottes“ für Sünden, Gesundheit wurde nicht mehr als „Geschenk Gottes“ angesehen. Aufgeklärte Menschen machten sich bewusst, dass sie selbst für ihren Körper verantwortlich waren. Arzneien wurden zugänglicher und in größeren Mengen hergestellt, obwohl sie nicht immer die versprochene Wirkung herbeiführen konnten – vielleicht half manchmal schon der Placebo-Effekt. In ländlichen Gegenden waren die meisten Einwohner jedoch weiterhin auf bezahlbare medizinische Versorgung durch dörfliche Hebammen, Kräuterheiler oder Wundheiler angewiesen. Konsultationen bei praktisch zugelassenen, studierten Ärzten konnten sich nur Wohlhabende leisten.

Erste Impfmethoden aus dem Orient

Anfang des 18. Jahrhunderts war das Impfen vielerorts noch als Quacksalberei und Teufelszeug angesehen, während es in anderen Ländern sogar in Dörfern praktiziert wurde. Auf einer Reise durch das Osmanische Reich erlebte die Schriftstellerin Lady Mary Montagu im Jahr 1717 die erste große Impfung in Konstantinopel. Ihrer Freundin Lady Sarah Chiswell schrieb sie: „Die Blattern, die bei uns so gefährlich und verbreitet sind, werden hier mittels der Pfropfung (Impfung), wie sie es nennen, ganz unschädlich. Gewisse alte Weiber machen sich ein Geschäft daraus, die Operation zu verrichten. Die Familien befragen sich untereinander, ob jemand unter ihnen die Blattern haben will. Sie schließen sich zu Gesellschaften zusammen, und wenn ihrer genug sind, gewöhnlich fünfzehn oder sechzehn, dann kommt die alte Frau mit einer Nussschale voll Blatternmaterie von der besten Art. Sie fragt, welche Ader man geöffnet haben will.“ Durch Einritzen in die Haut infizierten sich die Menschen und bekamen nach einer Woche Fieber, das wenige Tage anhielt. Durch dieses Verfahren entstanden zwar einige Pocken, diese heilten jedoch ab, ohne Narben zu hinterlassen und verschafften den Betroffenen Immunität. Der österreichischen Königin Maria Theresia hätte diese Maßnahme viel Leid erspart. Sie litt nach ihrer Krankheit so sehr an den Narben, dass sie alle Spiegel im Schloss abnehmen ließ.

Präventivmaßnahmen werden salonfähig

Nach ihrer Rückkehr gelang es Lady Montagu, zwei Ärzte für die Pockenimpfung zu gewinnen und hatte zunächst so weitgehenden Erfolg, dass sich gar zwei Mitglieder der königlichen Familie impfen ließen. Der Widerstand und die Feindschaft eines Großteils der Ärzteschaft folgte jedoch prompt, wie die Lady es vorausgesagt hatte – „diese Krankheit ist für sie zu einträglich, um nicht den kühnen Ritter, der es wagen sollte, ihr den Garaus zu machen, ihrer ganzen Rache auszuliefern.“ Dazu kam die Verdammung durch die hohe Geistlichkeit, die gegen den „heidnischen Brauch“, der in die Pläne der göttlichen Vorsehung eingriffe, predigte. So verlief der fortschrittliche Plan in England im Sande. Erst im Jahr 1796 entwickelte der englische Landarzt Edward Jenner eine zuverlässige Impfmethode gegen die gefährlichen Pocken bzw. Blattern. Er fand heraus, dass Landarbeiter, die sich bereits mit den harmlosen Kuhpocken infiziert hatten, oft von den gefährlichen, meist tödlich verlaufenden Menschenpocken verschont blieben. Im Jahr 1796 infizierte Jenner Patienten gezielt mit Kuhpocken und begründete damit die Methode der „aktiven Immunisierung“, bei welcher der Körper zur eigenständigen Bildung spezifischer Abwehrstoffe befähigt wird.